Raum im dadaistischen Film: „Entr’Acte“ von René Clair

Entr’acte: Analyse

Beitragsbild
Dreharbeiten zu ENTR’ACTE mit Satie, Picabia, Clair und Biorlin cc gemeinfrei

Ein Kanonenschuss aus dem filmischen Raum

Im Prolog von Entr’acte wird eine Kanone in Richtung Zuschauer abgefeuert. Die Szene ist auf einem Dach hoch über Paris gedreht. Eine altertümliche Kanone fährt – mit Pixillationstechnik animiert – hin und her. Mit großen Sprüngen kommen zwei Herren von links (Erik Satie) und rechts (Francis Picabia) in Zeitlupe ins Bild. Sie gestikulieren und diskutieren, laden schließlich die Kanone und entfernen sich wieder. Die Kanone, in Richtung Zuschauer gewendet, feuert ein Geschoss ab, das sich in Zeitlupentempo nähert. Sobald die Kugel die Leinwand füllt, wird abgeblendet.

Mit diesem Kanonenschuss eröffnet Entr’acte die Veranstaltung (die Balletaufführung Relâche von Francis Picabia) und stellt mit einem Schlag die behauptete Illusionskraft des realistischen Kinos in Frage: der realistisch abgebildete Kanonenschuss trifft nicht. Die metafilmische Aussage dieser Szene könnte kurz gefasst lauten: der filmische Raum ist eine Simulation, an deren Herstellung der Betrachter und Zuschauer konstitutiv beteiligt ist.

Zugleich parodiert diese Szene ein Kino des Spektakels, das durch Action und filmische Effekte die Wahrnehmung zu überrumpeln und zu beeindrucken versucht.

Anmerkung: Strukturell ähnelt der Prolog von Entr’acte dem Prolog des später entstandenen Un chien andalou [1929]. Beide Prologe zielen auf eine Provokation des Zuschauers. In beiden Fällen werden die Zuschauer attackiert. In Entr’acte geschieht dies direkt, unmittelbar und eindeutig; in Un chien andalou indirekt, verschlüsselt und mehrdeutig.