Werbefilme von Roy Andersson

Roy Andersson hat zwischen 1970 bis 2021 (nur) sechs Spielfilme gedreht. Dennoch gehört er zu den wichtigsten zeitgenössischen schwedischen Regisseuren und, wer einen seiner Filme gesehen hat, wird sie nicht vergessen.

1943 in Göteborg geboren, besuchte er in den 1960er Jahren die Filmschule des Schwedischen Filminstituts in Stockholm, die damals von Ingmar Bergman geleitet wurde.

Bild: Roy Andersson im Filmhuset Stockholm, CC BY-SA 4.0, Frankie Fouganthin 18.8.2014

Sein Spielfilmdebüt „En kärlekshistoria“ (1970) – international von Verleihen als ’schwedische Liebesgeschichte‘ angeboten – war ein grosser Erfolg. Andersson erhielt für diesen realistisch-naturalistischen Film Angebote für Fortsetzngen, die er aber ablehnte. Er arbeitete bei Bo Widerberg als Assistent. Widerberg und Andersson gehörten einer ‚rebellischen‘ Generation an, die im Gegensatz zum konservativen Ingmar Bergman, der politische Themen meidete und ablehnte, standen und gesellschaftspolitisch relevante Themen aufgreifen wollten.

Bo Widerberg und Roy Andersson (v.r.n.l.) blicken in der Filmschule skeptisch auf Rektor Bergman

Roy Anderssons zweiter, experimentellerer Film „Giliap“ (1975) floppte. In der Folge fand er in Schweden keine Unterstützung mehr. Um sich, auch von staatlicher Unterstützung unabhängig zu machen, gründete er sein eigenen Studio 24, dass er mit Werbefilmen erfolgreich finanzierte. In seinen Werbefilmen wandte er sich vom realistisch-naturalistischen Film ab und konnte seinen eigenen abstrakten Stil entfalten. Obwohl es kommerziell motivierte Filme sind, lag allen eine ausgeprägt humanistische Sicht auf die Welt und ein Interesse an den ‚einfachen Leuten‘ zugrunde. Nach mehr als 400 Werbespots drehte Andersson erst 1991 und dann 1993 kurze Spielfilme („World of Glory/Härlig är jorden“ und „Something Happened/Någonting har hänt“) und erst 2000 wieder einen langen Spielfilm („Songs from the second Floor“, 2000), mit dem er schließlich internationale Anerkennung fand.

Anderssons Werbefilme, wie auch seine späteren Spielfilme, sind emotional komplexe und akribisch geplante Filme in schlicht wirkenden, aber kompliziert illusionistischen Trompe-l’œil-Kulissen, die er in den eigenen Studioräumen baute.
Typisch für seinen Stil ist auch der Einsatz langer und fester Kameraeinstellungen – oft als eine einzige Einstellung je Szene. Charakteristisch auch die farbentsättigten Aufnahmen, die oberflächlich ‚makaber‘ oder ‚grotesk‘ wirken. Als Protagonisten besetzte Andersson gerne Laiendarsteller, die zum Teil über Jahre seiner ‚factory‘ angehörten.

When I was young, I was very fond of naturalism and realism, but later I could really see the wisdom in more abstract painting, like the Expressionists and the Symbolists. I’m so fond of two painters in Germany between the two world wars. One of them is my absolute favorite, Otto Dix, and the other is George Grosz (…) On the surface, you can regard them as cruel sometimes. But behind this surface, there is also a very, very sad heart (…) It’s a protest. I would say that the surface cruelty of the Expressionists is also a protest. Behind it there is responsibility and love.” (Roy Andersson in einem Interview der New York Times, 22.7.2009)

Roy Andersson Commercials Part 1, Studio 24, YouTube



Werbefilme von Roy Andersson, die im CinéMayence gezeigt werden (alphabetische Folge)

mit Dank an Kajsa Hedström von der Archivabteilung des Svenska Filminstitutet/Swedish Film Institute, Europa Film und Roy Andersson, Stockholm



Bröllopet (Die Hochzeit)

Werbefilm „Bröllopet“ für Trygg Hansa © Studio 24

Roy Andersson, Studio 24, S 1982, 1 min.
(digitalisierte Version von 35mm, Breitbild, Archiv: Svenska Filminstitutet)
Auftraggeber: Trygg-Hansa

Anmerkung: Trygg-Hansa ist ein großes Versicherungsunternehmen. Trygg bedeutet ’sicher, wohlbehütet‘. Der Werbeslogan „Trygghet för livet“ entsprechend Sicherheit für das Leben.



Familjen

Werbefilm „Familjen“ für Lotto © Studio 24

Roy Andersson, Studio 24, S 1985, 1 min.
(digitalisierte Version von 35mm, 1:1,66, Archiv: Svenska Filminstitutet)
Auftraggeber: Lotto

Weit entfernt von seinem früheren naturalistischen Stil, wie er in „En kärlekshistoria“ (Eine schwedische Liebesgeschichte, 1970) zum Tragen kommt, handelt sich um ein Familientreffen in einer künstlichen Umgebung, die in Anderssons Studio geschaffen wurde.

Anmerkung: In seinem kommerziellen Filmemachen entdeckte Andersson auch Mitarbeiter für seine Spielfilme. Fünfzehn Jahre später war Lucio Vucino, der hier dem Opa die Ohren verdreht, in „Songs from the Second Floor“ erneut als verhängnisvoller Zauberer zu sehen.

Der Werbeslogan „Ny spännande upplösning varje lördag“ bedeutet „Neue spannende Auflösungen jeden Samstag“.



Paret

Werbefilm „Paret“ für Pripps

Roy Andersson, Studio 24, S 1987, 1 min.
(digitalisierte Version von 35mm, Breitbild, Archiv: Svenska Filminstitutet)
Auftraggeber: Preppens

Eines von vielen Beispielen für Anderssons Verwendung einer unbewegten festen Kameraeinstellung. Die Wohnung sieht authentisch genug aus – mit Details wie Steckern und Lüftungsgittern. Wenn sich die Kamera nur ein paar Zentimeter in die eine oder andere Richtung bewegt, würde man die rohen, unbemalten Kanten der Dekoration sehen.

Anmerkung: Preppens war eine (nicht erfolgreiche) Lagerbiersorte der Brauerei Pripps. Der Spot wirbt für die Variante Lättöl (‚Leichtbier‘) mit reduziertem Alkoholgehalt. Das ehemalige Familienunternehmen Pripps gehört inzwischen zum Carlsberg-Imperium.

Der Werbeslogan bedeutet auf Deutsch „Ein Lichtblick im Dasein“.



Spjälsängen (Babykrippe)

Werbefilm „Spjälsangen“ für HSB © Studio 24

Roy Andersson, Studio 24, S 1985, 1 min.
(digitalisierte Version von 35mm, 1:1,66, Archiv: Svenska Filminstitutet)
Auftraggeber: HSB

Aufgenommen in einem Set, das in Anderssons Studio 24 gebaut wurde. Der karierte Boden ist typisch für Andersson-Filme. Die Wahl beruht sowohl auf ästhetischen als auch auf praktischen Erwägungen. Indem die der Kamera am nächsten liegenden Quadrate groß und die weiter hinten liegenden kleiner sind, wird das Auge getäuscht. Der Betrachter nimmt den Raum als tiefer wahr, als er ist.

Anmerkung: HSB ist eine 1923 gegründete Bauspar- und Wohnungsgenossenschaft mit heute mehr als 600.000 Mitgliedern. Die Abkürzung bedeutet: Hyresgästernas Sparkasse- och Byggnadsförening



Varför ska vi bry oss om varandra?

Werbefilm „Varför ska vi bry oss om varandra?“ für Socialdemokraterna © Studio 24

Roy Andersson, Studio 24, S 1985, 2 min.
(DCP von Digibeta, Archiv: Svenska Filminstitutet)
Auftraggeber: SAP

Ein Wahlfilm für Socialdemokraterna – Sveriges socialdemokratiska arbetareparti (SAP)

Der Titel bedeutet „Warum sollten wir uns umeinander kümmern“. Der Film zeigt Situation, in denen die Gesellschaft sich nicht um die Menschen kümmert.

1968 begann für die schwedische Werbung ein goldenes Zeitalter. Werbespots gab es nur in Kinos, und sie wurden vom Publikum geschätzt. Ende der 1960er Jahre befand sich die schwedische Werbebranche im Umbruch, und die Werbung wurde allgemein spannender und gewagter. Andersson nutzte die Gelegenheit (…)
Einige Jahrzehnte lang waren die Werbespots von Roy Andersson eine Institution in den Kinos (…)
Viele sind zu beliebten schwedischen kommerziellen Klassikern geworden; in der schwedischen Filmgeschichte verdienen sie einen Platz als kleine Klassiker. (Mårten Blomkvist, www.filmarkivet.se)





rww, Oktober 2021