Einführung – Peter Tscherkassky
Der Wiener Filmemacher Peter Tscherkassky (geb. 1958) gehört zu den wichtigsten Avantgarde-Filmemachern Österreichs. Sein Œuvre umfasst mehr als dreißig Filme. Tscherkassky ist darüber hinaus Autor von filmwissenschaftlichen Texten, die sich überwiegend mit dem Experimental- und Avantgardefilm auseinandersetzen. Sein Werk »enthält diverse Vorschläge für ‚Überlebensstrategien‘ des Avantgardefilms: Anschlußversuche und Rückgriffe, Übergangslösungen, peinliche Selbstbefragung, Theoriebildung und Theoriebilder, Feier des Materials, Relektüre historischer Stoffe« [Alexander Horwarth, 2000]. Tscherkasskys Schriften und filmische Arbeiten zielen auf eine Wiederaneignung des Mediums Film – Wiederaneignung bezüglich der Filmgeschichte, des Mainstream-Kinos und zuletzt bezüglich der technischen Entwicklungen, die vom Zelluloid Abschied nehmen. Tscherkassky wandte sich in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts dem Found-Footage-Film zu. Fast alle seine Filme verwenden ‚gefundenes‘ Material, um den Bildern ein künstlerisches Eigenleben zu gestatten. Seine Arbeiten entstehen als Kontaktkopien in der eigenen Filmmanufaktur – eine Kamera benötigt Peter Tscherkassky für seine Filme nicht mehr.
Seit „Happy-End“, 1996, arbeite ich ausschließlich mit Found Footage. Innerlich hab ich mich der Kamera als aufnehmendem Instrument irgendwie entfremdet. Die Wirklichkeit des Films ist der Filmstreifen, und nicht die Wirklichkeit, die mal vorgelagert war. Der ideale Punkt wäre erreicht, wenn Spielfilmregisseure, die ich schätze, einen Film machen, mir dann eine Kopie schicken und sagen: „Jetzt bist du dran. Prosastück wird angeliefert, mach ein Gedicht draus!„.
Quelle: Michael Loebenstein und Michael Omasta, in: Falter 41/02, Wien 09.10.2002
Dreamwork
Inhalt: Eine Frau geht zu Bett, schläft ein und beginnt zu träumen. Dieser Traum führt sie in eine Landschaft aus Licht und Schatten, wie sie, laut Tscherkassky, »in dieser Form nur die klassische Kinematographie hervorzubringen imstande ist«.
Dream Work [A 2001] bildet zusammen mit L’Arrivée [A 1997/98] und Outer Space [A 1999] eine Trilogie. Verbindende formale Elemente dieser Trilogie sind das CinemaScope-Format und eine Technik der Kontaktkopierung, bei der gefundenes Filmmaterial in der Dunkelkammer – per Hand und Kader um Kader – auf Rohfilm umkopiert wird. Das Originalmaterial stammt aus dem Horrorfilm The Entity von Sidney J. Furies. Das Ausgangsmaterial, aus dem Tscherkassky vor allem Szenen aus dem Schlafzimmer einer Frau entnommen hat, wird ‚freudianisch’ interpretiert. Dream Work – deutsch Traumarbeit – wendet Sigmund Freuds zentrale Mechanismen des Traums bei der Herstellung von Bedeutung an: Die Verschiebung, indem Tscherkassky das Ausgangsmaterial aus seinem Kontext ‚verschiebt’ und die Verdichtung, indem er mehrere Filmstreifen beziehungsweise Bildausschnitte und Szenen übereinander kopiert.
Zweiter Film der Dream-Work-Trilogie „Outer Space“. Eingebettetes Video der INDEX Edition (beim Abspiel gelten die Vimeo-AGBs)
Durch seine spezifische Methode der Aneignung nutzt Tscherkassky einen ‚Überschuss‘, der im Ausgangsmaterial enthalten ist. Dieser Überschuss bildet für Tscherkassky die Grundlage, auf der er eine Meta-Ebene aufbaut, die seine inhaltliche Intention zum Ausdruck verhilft. Dream Work ist deshalb nicht nur ein Film über Traumarbeit, sondern zugleich eine Arbeit über die filmische Realität des Materials, das ausgelöst aus dem ursprünglichen erzählerischen Kontext seine eigene Dynamik entfalten kann.
Filmografische Angaben:Dream Work, Peter Tscherkassky 2001; Musik: Kiawasch Saheb-Nassagh; 35mm Scope; s/w; 11 Min
Filme verfügbar bei: sixpackfilm (35mm, teilweise 2K DCP)
Internetseite des Filmemachers: www.tscherkassky.at
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