Vorgestellt: Baloji – Film, Musik, Poesie, Tanz aus Afrika

Baloji ist ein kongolesisch-belgischer Musiker, Songpoet und Filmemacher. Seine Musik, mit Rap- und Hip-Hop-Hintergrund, verbindet Afrobeats und traditionelle Musik aus seinem Herkunftsland mit westlich-elektronischer Musik zu einem zeitgenössischen urbanen Sound. Visuell arbeitet er mit Elementen des Afrofuturismus. Filmstilistisch verbindet er dokumentarische und inszenatorische Methoden.

2019 zeigten wir in der Langen Nacht des politischen Kurzfilms den Film ZOMBIES von Baloji. In der Gunst des Publikums lag der Film ganz weit oben (an dritter Stelle). Für alle, die damals die Veranstaltung verpasst haben und alle, die mehr über und von Baloji erfahren und sehen möchten, stellen wir den belgisch-kongolesischen Musiker und Filmemacher hier im Kontext seiner Filme vor.



Kurzbiografie

Baloji Tshiani (*1978 in Lubumbashi, Demokratische Republik Kongo, aufgewachsen in Belgien) ist Musiker, Songwriter und Filmemacher. Mit fünfzehn gründete er als MC Balo mit Rappern und MCs aus Liège/Lüttich die Gruppe Starflam, deren zweites Album „Survivant“ 2001 bei EMI Platinum erreichte. Angeregt durch einen Brief von seiner Mutter, die er 25 Jahre nicht gesehen hatte, verfolgte er seine Verbindungen zum Kongo und begann 2008 als Solomusiker und als Filmemacher. Seine Musikvideos, Kurzfilme und Songs erhielten zahlreiche Preise. Für den Text von „Hôtel Impala“ erhielt er den “Prix Brassens des paroliers”.

2018 drehte er, nach Musikvideos für das Album „137 Avenue Kaniama“ (die Adresse seiner Mutter), seinen ersten Kurzspielfilm „Kaniama Show“ – eine Satire auf propagandistische afrikanische TV-Shows. Sein zweiter Kurzfilm „Zombies“ erhielt u.a. einen Hauptpreis bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen und Preise beim Kortfilmfestival Leuven und beim Filmfestival Oostende (wo er aufwuchs). Im gleichen Jahr erschien „Never Look at the Sun“ – ein fiktiver Beauty-Werbefilm für ein Hautaufhellungsmittel.

Baloji bedeutet auf Swahili ursprünglich „Wissender“, ein Begriff, dessen Konnotation sich in Folge der kolonialen Christianisierung negativ in okkultistischer Heiler oder Zauberer dunkler Magie wandelte. So schillernd und vieldeutig sein Name, so vielseitig sind Balojis Talente. Seine Arbeiten lassen sich nicht kategorisieren.



Balojis Filme sind bezüglich Themen, Stil und Bildstrategien so polymorph wie seine Musik, die verschiedene afrikanische Popstile und traditionelle Tanzmusik mit westlicher Hip-Hop- und Elektrotanzmusik verbindet. Ebenso vielgestaltig schillernd sind die Kostüme seiner Protagonisten: von traditionellen Elementen, altmodischer Eleganz aus der Kolonialzeit bis zu urbaner Streetfashion und afrofuturistischen Upcycling-Outfit. Seine Protagonisten setzt er mit dokumentarischen ‚verité‘ Aufnahmen in Bewegung und in elaboriert inszenierten Tableaus statisch in Szene. Zu seinen Themen gehören – meist von pointierten Liedtexten ironisch begleitet – Ausbeutung, Diskriminierung, Despotie, Post-Kolonialismus, Urbanismus und – wie ein roter Faden – immer wieder Erscheinungen der zeitgenössischen Digitalisierung wie etwa der Selfie-Kultur. Ein wichtiges Element des polyglotten und sprachgewandten Sängers Baloji sind seine Lyrics (in Französisch, Swahili, Lingala und Englisch).

Zur Zeit dreht Baloji einen abendfüllenden Spielfilm zu seinem vierten Album mit dem gleichnamigen Titel „Augure“ vor. Der Film ist eine Familiengeschichte von zwei jungen Männern, die der Hexerei bezichtigt werden und zwischen Europa und Afrika leben (Produktion: Wrong Men, gefördert vom World Cinema Fund der Berlinale).



ZOMBIES (2019)

Der Kurzfilm zeigt ein hypnotisierend vibrierendes Kinshasa zwischen Hoffnung und Dystopie. Ein Streifzug durch die Stadt von einem Friseursalon in einen futuristischen Club, von einer Parade zu Wahlkampfveranstaltungen eines Despoten und seine Entsorgung auf einer Müllhalde mit Zivilisationsschrott. Die allgegenwärtigen Zombies, für die das Smartphone ein Körperteil ist, sind – trotz weit offener Augen – blind für die Realität.

ZOMBIES, 2019, 14:50 min, OmenglUT (YouTube)

Der Titel des Films ist eine Referenz an den nigerianischen Musiker und Freiheitskämpfer Fela Kuti (1938 -1997). In „Zombie“ (1976) singt Kuti in Pidgin Englisch: “Zombie no go go, unless you tell ‘em to go / Zombie no go stop, unless you tell ‘em to stop / Zombie no go think, unless you tell ‘em to think.” Bei Fela Kuti ist ‚Zombie‘ eine Metapher für die geist- und willenlosen Marionetten-Soldaten, die für die nigerianische Militärdiktatur töteten.



DEFINE BEAUTY: NEVER LOOK AT THE SUN (2019)

NEVER LOOK AT THE SUN ist ein fiktives Imagevideo für ein Hautaufhellungsprodukt namens Pure Skin. Das in zwei Hälften aufgeteilte Gesicht einer Frau zeigt den Unterschied zwischen vorher und nachher.

NEVER LOOK AT THE SUN, F 2019, 05:16 min, OmenglUT (Vimeo)

Niemals in die Sonne schauen ist ein Spruch, den ich als Kind gehört habe. Sieh nie in die Sonne und spiele nicht unter ihr, denn du bist dunkel genug. (Baloji)

Hintergrund: Im Film zitiert Baloji Texte der afro-amerikanischen Autorin Dorrie Wilson zum Thema ‚Colorism‘ (Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe).

Der Film entstand im Auftrag des Lifestyle-Magazins NOWNESS. Von der französischen Firma LVMH Moët Hennessy Louis Vuitton gegründet, ist es heute ein Joint Venture der chinesischen Modern Luxery Media und dem britischen Medienunternehmen Dazed.

Im Stil hat sich Baloji dem Magazin voller schöner Dinge und schöner Menschen (gerne ‚exotische‘ Frauen) angenähert. Eine gelungene Gratwanderung zwischen kritischem Inhalt und modischer Form. Nowness wählte Baloji zum Creative of the Year.



PEAU DE CHAGRIN / BLEU DE NUIT (2018)

„Peau de Chagrin / bleu de nuit“ ist ein Musikvideo zu einem Track aus dem Album „137 Avenue Kaniama“ und handelt von romantisch unerfüllter Liebe zwischen Hoffnung und Melancholie. In den Tableaus des Films inszenierte Baloji Motive einer traditionellen Hochzeit mit Anleihen an Traditionen der Pygmäen.

PEAU DE CHAGRIN / BLEU DE NUIT, 2018, 09:49 min, OmenglUT (Vimeo)

Wir haben diesen Film von mir in drei Tagen gedreht, mit einem Budget von Null. Ich weiß, es sieht sehr teuer aus, aber… (lacht). Als ich allen sagte, dass es kein Geld gibt, waren sie zum Glück immer noch begeistert von dem Projekt. Alles ist handgemacht. Wir haben einige ethnische Kleidungsstücke entworfen und ich habe mich in drei Stücke verliebt: das, das man vor dem weißen Würfel sieht, das orangefarbene und die Figur, die wie ein Baum aussieht. Für die Maske haben wir mit dieser großartigen Künstlerin Damselfrau zusammengearbeitet. Sie arbeitet auch mit Björk, und sie ist fantastisch.“ (Baloji in einem Interview für DAZED, 2018)



CAPTURE (2015)

Ein Track aus dem Album „64 Bits & Malachite“ mit Petite Noir und Muanza mit Performances von Kongo Astronauts.

CAPTURE (recut) 2017, 03:50 min

64 Bit ist die aktuelle Referenz für Computer-Prozessoren. Es erinnert an die Idee der eingebauten Obsoleszenz; wie frühere Versionen, auch wenn sie noch funktionieren, so gestaltet sind, dass sie unbrauchbar werden, wie Malachit. 64 Bits & Malachit baut unsere Betriebssysteme ab: eine Metapher unserer Zeit, eine Melodie der Diaspora, eine nomadische Musik zwischen Begegnungen und Kollisionen (Baloji in einem Interview mit NOWNESS)

Malachit ist ein grün geschichteter Stein, der in Katanga (Demokratische Republik Kongo) gefunden wird. Die ganze Welt kommt nach Katanga, um nach wertvollen Mineralien zu suchen, aber solche, die nur einen sentimentalen Wert haben, wie der Malachit, sind selten. Es ist eines der wenigen kongolesischen Mineralien, die nicht in diesem Computer verwendet werden, der Baloji hilft, seine Musik zu schaffen und zu verbreiten. (okayafrica.com)



KARIBU YA BINTOU (2009)

Karibu Ya Bintou („Willkommen im Leben in der Vorhölle“) wurde zum gleichnamigen Track aus dem 2010 erschienenen Album „Kinshasa Succursale“. U.a. mit Schaukämpfen am Schauplatz von Muhammad Alis legendärem „Rumble in the Jungle“ (Boxkampf gegen George Foreman) . Es ist ein filmisches Frühwerk mit autobiografischen Zügen, in dem Baloji sein künstlerisches Selbstverständnis vermittelt – im Bild noch gerade zu plakativ mit ’sprechenden‘ Hintergründen wie „Good Pop“, „Salon Coffure Polemique“, „Patrice Lumumba“, „No Comment“ …

KARIBU YA BINTOU, 2009, 05:06 min, Originalfassung ohne Untertitel (Vimeo)

KARIBU YA BINTOU, 2009, 04:51 min, OmenglUT (YouTube)

Mit der legendären kongolesischen Band Konono N°1 , die u.a. mit Björk zusammengearbeitet hat, und für ihre Upcycling-Instrumente bekannt ist – wie das Fingerpiano (lekembé) im Film.



Hintergrund: KONGO ASTRONAUTS

In den meisten Filmen von Baloji sind Performances der KONGO ASTRONAUTS zu sehen. KONGO ASTRONAUTS ist ein Künstlerkollektiv, das von dem in Kinshasa lebenden Duo Michel Ekeba und Eléonore Hellio gegründet wurde. Ihr multimediales Schaffen umfasst Fotografie, Film, Skulptur und Performance und engagiert sich im alternativen Kulturnetzwerk von Kinshasa. Die Künstler nutzen Science-Fiction für postkoloniale Kritik, für die Darstellung eines Landes, das von fremden Mächten verwüstet wird, um an Bodenschätze zu gelangen, die für die Erforschung des Weltraums und so ziemlich alles, was wir mit unserem modernen, hypervernetzten Leben verbinden, entscheidend sind. Zentrale Figur ihrer Performance ist die Cyborg-Metapher des Astronauten. Für die Masken und Kostüme verwenden sie elektronische Abfallprodukte und Schrott aus kongolesischen Metallen und Mineralien (Kobalt, Koltan, Malachit, Kupfer, Zinn u.a.).

POSTCOLONIAL DILEMMA TRACK #3, Kongo Astronauts, 2014, 01:05 min (Vimeo)



Links

Offizielle Seite von Baloji https://www.baloji.com/

Seite der Band Starflam zum Album „Survivant“ (B): http://starflam.com/musique/survivant/

Seite des Albums „Kinshasa Succursale“ von Crammed Discs: http://www.crammed.be/index.php?id=37&rel_id=382 (u.a. mit Balojis Cover-Version „Siku Ya Baadaye“ von „Indépendance Cha-Cha“)

Soundtrack Konzert „Zombie“ von Fela Kuti 1976: https://www.youtube.com/watch?v=SVMmnYp_Zxs

Soundtrack „Zombie“ mit Textlaufband (engl): https://www.youtube.com/watch?v=O0psvbX1YB0

Kongo Astronauts Ausstellung (Axis Gallery, New Jersey): https://axis.gallery/artists-kongo-astronauts/#foogallery-7758/p:3

Ausführliche illustrierte Besprechung (engl) des Films „Zombies“ von Thandi Loewenson (Review of African Political Economy): https://roape.net/2019/06/07/daring-to-dream-with-eyes-wide-open-review-of-balojis-zombies/

Ausführliche Besprechung des Films „Zombies“ für den Einsatz in Schulen (dt.) von Annett Busch (Evangelisches Zentrum für entwicklungsbezogene Filmarbeit): https://www.ezef.de/publikationen/zombies/3915

Baloji spricht über seinen Film „Zombies“ im arte Magazin „Court Circuit/Kurzschluss“, 9.7.21 (verfügbar bis 7.10.21), 5 min, frz/dt eingesprochen: https://www.arte.tv/de/videos/104675-000-A/kurzschluss/



10.08.2021

rww