Herzlichen Glückwunsch Institut français! Da wir leider keine Filme zeigen können, ist dieser Artikel unser Beitrag zum 70. Jubiläum
Schon bei und nach der Eröffnung des CinéMayence im Institut Français in den 90er Jahren fanden wir Indizien für die Filmarbeit eines in Mainz ansässigen “Bureau du Cinéma“.
So stießen wir zunächst auf materielle Zeitzeugen wie zum Beispiel einen Filmspulenschrank mit Inventarmarke oder Eintragungen in alten Plänen, nach denen die jetzt vom CinéMayence genutzten Räume bereits einmal als Kino genutzt wurden. Das machte uns neugierig!
1999 begannen wir mit einer Recherche, die in eine sehr aufschlussreiche Tagung mündete, die wir im Dezember 2000 im und mit dem Institut – damals Centre Culturel et de Coopération Linguistique, Institut Français Mainz – veranstalteten.
Inzwischen wissen wir natürlich noch mehr und können diese Entdeckungen, zu denen später noch ein Foto des Filmsaals von Philip Münch kam, in die Geschichte der deutsch-französischen Filmbeziehungen der Nachkriegszeit einordnen. Aber der Reihe nach …
Am 08. November 1999 stellten wir das Projekt der Öffentlichkeit vor. Der Filmhistoriker Thomas Tode sprach über die Dt-frz. Filmemachertreffen. Im Rahmen der Veranstaltung wurde der Kurzfilm „E comme Europe“ von Geza Radvanji, der 1951 bei einem Jugendtreffen auf der Loreley gedreht wurde, gezeigt. Im Anschluß lief einer der Filme, die das Bureau du Cinéma damals in Mainz vorgestellt hat: „La Belle et la bête“ von Jean Cocteau.
Am 9. und 10. Dezember 2000 fand im Salon des Instituts und im Kinosaal des CinéMayence die Tagung statt. Titel: „Film et Cinéma in Rheinland-Pfalz: Deutsch-französische Kulturbeziehungen – Gestern und Heute“. Untersuchungsgegenstand waren die Film- und Kinoaktivitäten der französischen Hochkommission in der französischen Zone und deren Folgen unter besonderer Berücksichtigung der Aktivitäten des Mainzer ‚Bureau du Cinéma‘ in der Nachkriegszeit“.
Zu der Tagung hatten wir FilmwissenschaftlerInnen und HistorikerInnen, aber vor allem auch Zeitzeugen eingeladen. Insbesondere die Teilnahme von Zeitzeugen, die zugleich wichtige Akteure in den deutsch-französischen Filmbeziehungen waren, ist rückblickend von unschätzbarem Wert gewesen.
Dies war die Tagesordnung (Facsimile):
Tagungsteilnehmer – Akteure
Von drei eingeladenen Zeitzeugen und Akteuren musste leider Joseph Rovan kurz vorher aus gesundheitlichen Gründen absagen. Rovan war u.a. Leiter des Bureau de l’Éducation populaire, Kulturbeauftragter der französischen Zone, Mitgründer des Deutsch-französischen Jugendwerks (ofaj), Literat und einer der wichtigsten Vermittler in den deutsch-französischen Beziehungen. Rovan beauftragte als ‚Kulturanimateure‘ André Bazin und Chris Marker, die unter der Leitung von Albert Tanguy (Bureau du Cinéma) an den deutsch-französischen Filmemachertreffen teilnahmen.
Mit Marcel Colin-Reval (1905-2004) hatten wir den wichtigsten Akteur der deutsch-französischen Filmbeziehungen im Südwesten bzw. der französischen Zone gewinnen können. Ursprünglich Filmfachjournalist (u.a. Chefredakteur Cinématographie Française) und Leiter mehrerer Kinos in Frankreich war er als ‚Filmoffizier‘ Leiter der Dienststelle „Section Cinéma“ bei der Militärverwaltung in Baden-Baden für den gesamten Filmsektor verantwortlich. In kurzer Zeit (1945-49) hat Colin-Reval mit ungeheurer Energie seine Projekte vorangetrieben. Wie u.a. den Aufbau einer Filmindustrie (z.B. Filmstudio und Synchronstudio Remagen, die Fachschule Centre Technique du Cinéma in Eich bei Worms), den Filmverleih sowie den Wiederaufbau von mehr als 100 Kinos im heutigen Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Außerdem gründete er die erste deutsche Filmfachzeitschrift, aus der später Filmecho/Filmwoche hervorging, gründete die Wochenschau „Blick in die Welt“ und war auch noch als Filmproduzent tätig (u.a. bei Rossellinis „Germania, Anno Zero / Deutschland im Jahre Null“).
Von deutscher Seite war Enno Patalas (1929-2018) als Zeitzeuge Teilnehmer der Tagung. Patalas hat sich, so sagt er, auf den deutsch-französischen Filmemachertreffen »vom Virus der Cinephilie anstecken lassen«. Er war maßgeblich an der Gründung der deutschen Filmclub-Bewegung beteiligt, Mitgründer der Zeitschrift „Filmkritik“ und später, zusammen mit seiner Frau Frieda Grafe, der wichtigste Vermittler französischer Filmkultur in Deutschland. Bis zu seinem Tod leitete er das Filmmuseum München, das er durch wichtige Filmrestaurationen zu einer der bedeutendsten internationalen Kinematheken machte.
Über den damaligen Stand der Forschung berichteten im Rahmen der Tagung die Historikerin Laurence Thaisy (damals Studentin in Lille), der Wirtschafts-, Kultur- und Sozialhistoriker Peter Gleber (Mannheim), die Filmkuratorin Madeleine Bernstorff (Berlin) und der Filmhistoriker und Publizist Thomas Tode (Hamburg).
Die Veranstaltung wurde vorbereitet von Madeleine Bernstorff, Nathalie Prat, Thomas Tode und Reinhard W. Wolf (Mainz) mit Unterstützung der Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur.
Fakten, Episoden und Anekdoten
Die unmittelbare Nachkriegszeit bis zur Währungsreform – wichtige Ereignisse in der Region
1946 fand in Mainz, anlässlich der Wiedereröffnung der Universität, die erste Filmwoche „Semaine du Cinéma“ statt, Gezeigt wurden u.a. Sylvie et le fantôme de Claude Autant-Lara und Sous les toits de Paris de René Clair.
1947 wurde die Filmvorführerschule in Eich bei Worms gegründet, in der auch Toningenieure und Cutter ausgebildet werden sollten.
1947 erschien die erste Ausgabe der „Film-Revue“ mit Marlene Dietrich auf der Titelseite
1948 wurde im Studio Remagen (Haus Calmuth) der erste französische Film auf deutsch synchronisiert (Vertiges/Blick ins Dunkel von Richard Pottier).
1948 bereitete Marcel Colin-Reval mit Erich Pommer eine Vereinbarung zum freien Austausch der drei westlichen Zonen vor, die als „Accord de Wiesbaden“ die Fusion der Filmaktivitäten (Lizenzen, Zensur, Produktion, Verleih und Aufführung) der Zonen besiegelte. Als Folge der Vereinbarung wurde in Mainz als erster US-amerikanischer Spielfilm Anna and the King of Siam von John Cromwell mit Irenne Dunne und Rex Harrison in den Hauptrollen gezeigt.
1948 wurden in Mainz die ersten Kinounternehmen unter rein deutscher Leitung gegründet (Merkur Filmtheater GmbH und Gloria Filmtheater GmbH). Unter anderem wurde der ehemalige Ufa-Palast in der Großen Bleiche unter dem Namen Filmpalast wiedereröffnet.
Die fünfziger Jahre: Das Bureau du Cinéma
Joseph Rovan: »In der für Erziehung und Kultur zuständigen Generaldirektion des Oberkommandanten der französischen Armee in Deutschland (und nach 1949 des französischen Hochkommissions) unter der Leitung von «General» Raymond Schmittlein wurde sehr früh eine Direktion für Jugend und Sport und in diesem Rahmen ein «Bureau de Cinéma» geschaffen.« Die Direction de la jeunesse et du Sport stand unter der Leitung von Jean-Charles Moreau und das Bureau du Cinéma war Albert Tanguy anvertraut, der schon in Frankreich mit Moreau gearbeitet hatte. Neben dem Bureau du Cinéma gab es ein Bureau de la Culture Populaire (Volksbildung), um das ich mich kümmere, ein Büro für Frauenangelegenheiten – und natürlich verschiedene Stellen für Sport und Gymnastik. Die Büros lagen in Baden-Baden (im Hotel Stéphane) und ab Herbst 1949 in der Zitadelle in Mainz.« (zitiert aus Tagungstext, Dez. 2000)
Das Bureau du Cinéma veranstaltete in lokalen Kinos oder, wie im Fall des Institut français, in Räumen unter französischer Verwaltung für die deutsche Bevölkerung die Vorführung aktueller Filme. Zu diesem Zweck wurde eine Mediathek mit 16mm-Kulturfilmen eingerichtet, die für nichtgewerbliche Vorführungen ausgeliehen werden konnten. Das Filmlager befand sich in der Zitadelle von Mainz.
Später zog die Mediathek nach Bad Godesberg um, wo der Nachfolger von Schmittlein, der Diplomat Henry Spitzmuller, die Services Culturels Français en Allemagne mit anderer Zielrichtung (Sprachförderung) etablierte, während die Kulturabteilungen aber in Mainz blieben. Einige Jahre später verliert sich die Spur des Filmbestands des Bureau du Cinéma.
Unter der Bezeichnung Bureau du Cinéma gab es weiterhin, allerdings stetig abnehmende, Filmaktivitäten zunächst in München und schließlich bis heute in Berlin bei der Französischen Botschaft. Die kurzen Jahre in Mainz waren jedoch außerordentlich produktiv und erfolgreich. Sie hatten maßgeblich die weitere Entwicklung der deutschen Filmlandschaft geprägt.
Das Bureau du Cinéma der fünfziger Jahre vermittelte nicht nur Filme für die allgemeine Bevölkerung, sondern initiierte auch deutsch-französische Begegnungen zwischen Professionellen.
Filmclubs und Filmtreffen
Ende der 40er Jahre »hat die Administration Militaire, die ausschließlich aus Zivilisten bestand, dann beschlossen, die Entwicklung von Film-Clubs in Deutschland zu fördern. Zu diesem Zweck wurden unter der Leitung von André Bazin und Albert Tanguy ab 1949 jährliche Filmemachertreffen organisiert« (Rovan). An den Treffen nahmen, im Sinne des Accord de Wiesbaden, nicht nur FilmemacherInnen und Persönlichkeiten des kulturellen Lebens aus Frankreich, sondern auch Vertreter der anderen Besatzungsmächte bzw. Persönlichkeiten aus den anderen Besatzungszonen teil.
Die Treffen fanden aber in Tagungshäusern in Orten der französischen Zone statt: Titisee 1949, Schluchsee 1950, Bacharach am Rhein 1951, Lindau am Bodensee 1952 und ab 1953 regelmäßig in Bad Ems.
Im Rahmen der Treffen wurden Filme gezeigt und diskutiert. Rovan: »Wir hatten uns eine große Anzahl von Filmen verschafft, die in Deutschland noch weithin unbekannt waren, und die Teilnehmer konnten nie genug von ihnen sehen«.
Die Teilnehmernamen lesen sich wie ein Who-is-who des damals zeitgenössischen Kinos: André Bazin, Jacques Becker, Ludwig Berger, Robert Flaherty, Gert Fröbe, Walter Hagemann, Hilmar Hoffman, Helmut Käutner, Norman McLaren, Chris Marker, Jean Mitry, Max Ophüls, Enno Patalas, Geza Radvani, Alain Resnais, Karel Reisz, Paul Rotha, Jean-Marie Serreau, Wolfgang Staudte, Fee Vaillant, Josef von Sternberg u.v.a. (Quelle: Erzählungen der Beteiligten. Leider wurden bislang noch keine Teilnehmerlisten oder Tagungsprotokolle gefunden).
Aus diesen Treffen gingen unmittelbar oder indirekt hervor: die Gründung von Filmpublikationen, die Gründung von Filmfestivals und die Gründung von Filmclubs, die als Vorläufer der Kommunalen Kinos betrachtet werden können.
Anmerkung und Einschätzung: die ambitionierten (film-)wirtschaftlichen Initiativen der französischen Verwaltung wurden bald aufgegeben, an deutsche Unternehmen übertragen oder scheiterten ökonomisch. So löste sich der Traum von einem französischen Hollywood auf dem 20 Hektar großen Gelände um das Jagdschloß Calmuth in Remagen in Luft auf. Nach einer Zwischennutzung durch die Hadeko Film Union wurde der Studiokomplex ab 1986 samt seiner Einrichtung ungeschützt dem Verfall überlassen. Die Filmvorführerschule in Worms wurde geschlossen. Produktionen und Verleihe aufgelöst oder an deutsche Unternehmen verkauft, von denen keines in Rheinland-Pfalz Fuß fasste. Letztlich scheiterten die Bemühungen an fehlenden Mitteln (Frankreich war durch den Krieg ökonomisch hart getroffen), aber vor allem aber auch an der Übermacht der US-amerikanischen Konkurrenz im Filmbereich in der benachbarten Besatzungszone.
Nachhaltiger und erfolgreicher in ihren Nachwirkungen waren jedoch die filmkulturellen Bemühungen, die aber weniger erforscht sind als die wirtschaftlichen Strukturen.
Desiderate
Zurückblickend ist die Quellenlage und der Kenntnisstand, nicht zuletzt durch die (spätere) herausragende Forschung der Mainzer Tagungsteilnehmerin Laurence Thaisy über den Wiederaufbau des Filmsektors in der ehemaligen französischen Zone bis 1949 sehr gut. Allerdings fokussieren die meisten Publikationen auf den wirtschaftlichen Aspekten des Filmsektors (Filmverleih, Filmproduktion und Entwicklung der Kinolandschaft). Die filmkulturellen Aktivitäten sind kaum untersucht.
So fehlt noch eine historisch-wissenschaftliche Aufarbeitung der Aktivitäten des „Bureau du Cinéma“ in Mainz und der Rolle des ersten Leiters, Albert Tanguy, für den Aufbau kultureller und pädagogischer Filmarbeit in Westdeutschland, wie zum Beispiel die Gründung und Geschichte der ciné-clubs im Südwesten. Auch fehlen Filmkopieverzeichnisse und Filmprogramme des Bureau (wie z.B. Programme im Mainzer Institut français)
Die 1999/2000 von uns geplante Fortsetzung der Recherche zum Thema „Bureau du Cinéma“ und die Veröffentlichung eines Buches scheiterten leider aus finanziellen Gründen.
Auch enden die meisten Forschungen über die deutsch-französischen Film- und Kulturbeziehungen in der Nachkriegszeit 1949 mit der Zeit der Gründung des Bundesrepublik. Viele französische Institutionen der action culturelle bestanden aber, wenn auch unter anderen Namen und neuen Leitungen, noch weiter. Und die meisten deutschen Kulturakteure und viele Organisationen, die damals mit französischer Hilfe und Beratung gegründet wurden, bestehen bis heute.
Quellen und weitere Informationen
ROVAN: Joseph, Erinnerungen eines Franzosen, der einmal Deutscher war. München: Hanser 2000
PATALAS, Enno: Vor Schluchsee und danach. Aus dem Leben eines deutschen Cinephilen, in: Filmgeschichte 19 (September 2004)
BERNSTORFF, Madeleine: Der Beitrag Frankreichs. Filmpolitik in der französischen Besatzungszone, Berlin 2000
GLEBER, Peter: Kino als Überlebensmittel 1945 – 1949, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins ZGO (1997), S. 403-429.
GLEBER, Peter: „Civilisation Française“ und „Überlebensmittel“. Nachkriegskino in der Pfalz, in: Gerhard Nestler, Hannes Ziegler (Hg.): Zwischen Kriegsende und Wirtschaftswunder, Kaiserslautern 2003
THAISY, Laurence: La politique cinématographique de la France en Allemagne occupée (1945-1949), Villeneuve d’Ascq: Presses universitaires du Septentrion, 2006, ISBN: 9782757426944
TODE, Thomas: Starthilfe zur Filmkultur. Die deutsch-französischen Filmtreffen 1946-1953 in: Heiner Roß (Hg.): Lernen Sie diskutieren! Re-education durch Film, Filmblatt-Schriften 3 [Seite 71ff], Cinegraph Babelsberg 2005