Found-Footage-Film – Collage: Filme von Craig Baldwin

Spectres of the Spectrum von Craig Baldwin

Spectres of the Spectrum, Craig Baldwin, USA 1999, 16mm, F&s/w, 93 Min.

Spectres of the Spectrum ist ein Essay über die Machtergreifung des Äthers und der elektromagnetischen Sphäre. Im Genre des Science Fiction angesiedelt, erzählt der Film von einer telepathischen jungen Frau, BooBoo, und ihrem Vater Vogi, die im Jahr 2007 in der Wüste von Las Vegas in einem ehemaligen Piratenradiosender wohnen. Gemeinsam versuchen sie die Welt vor der „New Electromagnetic Order“ zu retten, die kurz davor ist, die Gehirne aller Menschen mit elektronischen Impulsen gleichzuschalten. BooBoo reist in die Vergangenheit, um zusammen mit Hackern und Rebellen die New Order zu bekämpfen und die elektromagnetische Autonomie herzustellen.

Die Grundannahme des Films ist, dass es eine elektromagnetische Sphäre gibt, die, wie die natürlichen Elemente, ausgebeutet, verschmutzt oder missbraucht werden kann. Vor dem Hintergrund des SciFi-Plots erzählt Baldwin die (wahre) Geschichte der Erfindung des Radios, der Nutzung der elektromagnetischen Wellen bis hin zur Erfindung des Computers. Die wichtigsten Protagonisten des Films sind historische Erfinder und Persönlichkeiten wie Philo P. Farnsworth, dessen Fernseherfindung von David Sarnoff (R.C.A.  heute: HBO) ausgebeutet wurde, oder Nicola Tesla, der geniale, fast vergessene Entdecker der Grundlagen für die Übertragung von Energie über Radiowellen, aber auch noch heute lebende Akteure des Informationszeitalters, wie zum Beispiel Bill Gates. Spectres auch ein Film über die Mediengeschichte.

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Viele von dem dafür verwendeten Material kommt von Speichermedien, die längst nicht mehr im Handel sind. Es sind heute schon Raritäten. Erfinder wie Nikola Tesla oder Philo P. Farnsworth sind natürlich nicht aus dem Gedächtnis gelöscht worden, aber ihre Schicksale sind heute schlicht vergessen. Mit ›Spectres‹ habe ich solche Informationen für die Allgemeinheit konvertiert. Das verstehe ich unter ‘Medienarchäologie’.

[a.a.O. Busche, Telepolis 2001]

Letztlich geht es in Spectres um den Missbrauch von wissenschaftlichen Errungenschaften und der modernen Technologie durch die Mächtigen, womit der Film an >Tribulation 99 anknüpft. Spectres ähnelt aber, im Unterschied zu Tribulation und anderen Filmen Baldwins, eher >RocketKitKongoKit, insofern real-historische Zusammenhänge recherchiert und dargestellt werden. Nur geht es bei Spectres nicht um die Kolonialisierung eines fremden Landes, sondern um eine Kolonialisierung der Imagination. Wie in all seinen Filmen verwendet Baldwin auch in Spectres Archivmaterial, aufgezeichnete Fernsehsendungen, Industriefilme und B-Movies. Insbesondere besteht Spectres aber aus sorgfältig recherchierten Archivfilmen zur Geschichte der Radiowellen. Unter anderem wurden auch „kinescopes“ verwendet – Aufzeichnungen von frühen Fernsehübertragungen aus einer Zeit, in der es noch kein Videoband gab.

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Die filmische Methode, die Baldwin in Spectres anwendet, um diese vielschichtigen Aspekte in seinem Film zu erreichen – der weder Dokumentation und Kompilationsfilm noch Fiktion und Spielfilm ist, sondern als Found-Footage-Collage eine dritte, wenn man so will, höhere Ebene erlangt –  beschreibt er selbst als das »Experimentieren mit vertikalen Strukturen, ähnlich Totem-Pfählen« [Freedman, Adobe 2003]. Dies erinnert – bis in die Wortwahl hinein – an die filmtheoretischen Überlegungen von >Maya Deren.

Technisch ist Spectres ausgefeilter als frühere Baldwin-Filme. Insbesondere bedient er sich in Spectres auch der elektronischen Postproduktion. Seine vertikalen Strukturen erzielt Baldwin durch ein entsprechendes Compositing.

Links zu weiterführenden Texten: From Junk to Funk to Punk to Link. A survey of the found-footage film in the San Francisco Bay Area by Craig Baldwin | Interview mit Craig Baldwin „Appropriating, Scratching and Decoding