Medienkunst (Internet) – „VVEBCAM“ von Petra Cortright

Petra Cortright – Einführung

Petra Cortright in der City Gallery Wellington, Interview auf YouTube | Screenshot

Petra Cortright (1986) lebt und arbeitet in Los Angeles, CA. Sie studierte Bildende Kunst an der Parsons School of Design, The New School, New York, NY (2008), und am California College of the Arts, San Francisco, CA (2004).

Petra Cortrights Haupttätigkeit ist die Erstellung und Verbreitung digitaler und physischer Bilder mit Hilfe von Consumer- oder Unternehmenssoftware. Bekannt wurde sie durch ihre Selfie-Videos, die sie mit der Webcam ihres Computers und Standard-Effektwerkzeugen aufnahm, um sie dann auf YouTube hochzuladen und mit einem Spam-Text zu versehen.

Screenshot aus „cats spirt spsit spit“

»Dieses Interesse an der sozialen Natur des Webs lässt sich auf ihre Teilnahme am Surfclub Nasty Nets (gegründet 2006) zurückführen, einem „Internet-Surfclub“, in dem eine Gruppe von Künstlern neue Arbeiten und Online-Entdeckungen in einem langjährigen Dialog postete, bei dem Kommentare (und Konflikte) ebenso wichtig waren wie Inhalte.« (Bruce Sterling, „Data Mine“, Artforum 2012). Außerdem malt sie digital auf Aluminium, Leinen, Papier oder Acryl unter Verwendung von Malware und angeeigneten Bildern, Symbolen und Zeichen. Die digitalen Dateien lassen sich endlos verändern, aber in einem „entscheidenden Moment“ werden sie in zweidimensionale Objekte übersetzt. Sie werden endlich, doch ihre verwirrenden Perspektiven und Dimensionen suggerieren eine dynamische Veränderung. Neuerdings entstehen auch digitale Bilder, die sie als Non-Fungible Tokens (NFT) über Krypto-Blockchains ausgibt.


„vvebcam“ von Petra Cortright

Das 2007 auf YouTube online gestellte Video zeigt die Künstlerin, beim Betrachten von Online-Videos auf ihrem heimischen Bildschirm – aufgenommen von einer im Monitor eingebauten Webcam. Die Videos selbst sind nicht zu sehen. Cortright überlagerte die Aufnahmen mit Animationen aus gängigen Clipart-Repertoires. Mit diesem medialen ‚closed circuit‘ spricht sie Fragen der medialen Spiegelung, dem passiven Konsumieren von Online-Videos, der Streaming-Technik und der Präsentation von Kunstwerken im Internet an.

Falls der Browser nur „https“ und kein „http“ erlaubt, einen dieser Links probieren: http://archive.rhizome.org/anthology/vvebcam/vvebcam-2.webm | http://archive.rhizome.org/anthology/vvebcam/


YouTube-Sperre und Rekonstruktion

Um User aufmerksam zu machen und anzulocken (‚traffic‘), versah sie das Video mit einer langen Liste von Tags. Diese Schlagworte, die absichtlich spam-ähnlich aus dem Social-Media-Kosmos stammen, banal wie #KFC oder provokativ wie #Paris Hilton Nude, wurden der Künstlerin zum Verhängnis. Denn, YouTube identifizierte in Folge von User-Beschwerden unangemessene pornografische Schlagworte und sperrte im Jahr 2010 das Video. Ihr Widerspruch mit Verweis auf die künstlerische Bedeutung unter Berufung auf die Kunstfreiheit wurde binnen vier Stunden abgelehnt. Seitdem war VVEBCAM verschwunden und konnte zwar 2011 von Rhizome provisorisch rekonstruiert archiviert werden, aber erst kürzlich mit Hilfe spezieller Restaurierungssoftware fast vollständig wiederhergestellt werden (Petra Cortright hatte selbst kein Backup!).

Dies ist die rekonstruierte YouTube-Seite mit „vebbcam“ (Net Art Anthology) | Screenshot

Die Restaurierungsgeschichte ist für sich interessant. Der Slogan „das Internet vergisst nichts“ stimmt nicht uneingeschränkt. Viele frühe Net-Art-Arbeiten wären verloren, wenn es nicht Initiativen wie Net Art Anthology von Rhizome gäbe, die nicht nur rekonstruieren und archivieren, sondern auch jedermann Werkzeuge wie den Webrecorder zur Archivierung zur Verfügung stellen (Rhizome, ehemals ein künstlerischer Listserver, ist seit 2003 dem New Museum in New York angeschlossen).


Exkurs: Webvideos und Selfies

Im Jahr 2002 tauchte der Begriff zum ersten Mal in einem australischen Blog auf. Im November 2013 erklärte das ehrwürdige Oxford English Dictionary ‚selfie’ zum Wort des Jahres. Gemeint waren damals nur Fotos. Bewegtbild-Selfies (videos) waren möglich, nach dem Mobiltelefone mit Videokameras ausgestattet wurden. Vorläufer waren Personal Computer mit Kameras, sog. Webcams, die Videos aufzeichnen und als Webvideos auf Videosharing-Plattformen wie MySpace und YouTube uploaden konnten.  Voraussetzung für Webvideos vom PC und vom Mobiltelefon war die Videofilmtechnik. denn Video war das erste Bewegbild-Medium, das simultan eine Person zugleich aufnehmen und wiedergeben konnte. Die meisten Arbeiten von Petra Cortright sind im engeren Sinne Selbstporträts und nicht Selfies. Ihre Webvideos beziehen sich sich aber häufig auf doe Selfie-Kultur in den sogenannten sozialen Medien wie Facebook, Instagram oder TikTok.


Weitere Internetarbeiten von Petra Cortright


buggin out

Ein Video zum Thema Selbstdarstellung in sozialen Medien (2013, 2:03 min.)

»In „buggin out“ verändert sie mit digitalen Tricks die Größe ihrer Augen, wenn sie eine Sonnenbrille hebt und senkt, so dass sie von winzig klein bis hin zu riesig groß wie eine Anime-Figur werden.« (NYT Magazine Nov. 2013). Zugleich spiegelt sich der unsichtbare, aufnehmende Bildschirm in ihren Augen und auf ihrer Sonnenbrille – für YouTuber und Influencer im Web wäre das ein zu vermeidender Fehler. Den Bildhintergrund hat Cortright wie den Arbeitsplatz einer typischen Influencerin aus der Kreativbranche arrangiert.

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Durch die Sichtbarmachung der Aufnahmeapparatur ist die Arbeit im doppelten Wortsinn selbst- bzw. medienreflexiv. Es findet keine soziale Kommunikation mit anderen statt, wie der Begriff ’social media‘ vorgaukelt. Wie bei >Nam June Paiks TV Buddha handelt es sich vielmehr um einen Closed Circuit, in dem die Protagonistin allein mit sich selbst ist.


TFW UR WATCHING MAKEUP TUTORIALS ON CONTOURING BUT READING STEPHEN KINGS “IT” SIMULTANEOUSLY

Ein Video zum Thema Selbstoptimierung und Influencern in sozialen Medien mit einer Referenz zu Stephen King. Die Make-Up-Posen erscheinen als Horrorfilm (2016, 1:52)

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cats spirt spsit spit (2008, 26 Sek.)

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Quellen

Petra Cortrights Arbeiten werden vertreten von der Galerie Foxy Production (NYC).

Petra Cortright’s Website https://www.petracortright.com/hello.html | YouTube Catalogue  https://www.youtube.com/user/petracortright/videos | NFT-Arbeit („PC_Flower_Vase 001“) Blockchain Certificate