Found-Footage-Film – Collage: Rose Hobart von Joseph Cornell

„Rose Hobart“ von Joseph Cornell

Standbild aus „Rose Hobart“ (getönter Original-Schwarzweiß-Film)

Rose Hobart, Joseph Cornell, USA 1936, s/w, stumm, 18 Min.; ursprünglich aufgeführt mit Musik von Schallplatten und durch ein blaues Glas projeziert; beste Online-Version (480p, mp3, blau getönt) auf UbuWeb. Filmquellen siehe unten.


Rose Hobart ist der erste Film des amerikanischen Surrealisten Joseph Cornell und heute einer der berühmtesten Found-Footage-Filme überhaupt, der in die Geschichte des Avantgarde-Films eingegangen ist.

Hashin, der lüsterne Prinz von Marudu, plant Linda (Rose Hobart) und ihren im Dschungel wiedergefundenen Ehemann zu entführen. Standbild aus dem Originalfilm „East of Borneo“ (Universal Pictures, George Melford, USA 1931)

Rose Hobart besteht fast ausschließlich aus Auszügen aus dem Hollywood-Film East of Borneo (USA 1931). Dieses B-Picture ist ein an und für sich unbedeutender Dschungel-Abenteuerfilm mit der inzwischen vergessenen Schauspielerin Rose Hobart in der Hauptrolle. Cornell schnitt aus dem etwa 80-minütigen Film alle Szenen heraus, in denen Rose Hobart nicht auftritt. Ihm blieben knapp 20 Minuten Material, das er völlig neu ordnete und unabhängig vom ursprünglichen, dramatischen Handlungsverlauf montierte. Bis auf wenige Szenen aus Naturfilmen mit Aufnahmen von Sonnenuntergängen und einer Mondfinsternis verwendete Cornell fast ausschließlich Material aus diesem einen Film. Anstelle des originalen Filmtons legte Cornell seiner Filmcollage ein Tonband mit einer kitschigen brasilianischen Musik bei, die er auf einer Schallplatte in einem Trödelladen gefunden (found!) hatte. Cornell bestimmte, dass Rose Hobart mit verlangsamter Laufgeschwindigkeit durch ein Glas mit blau gefärbtem Wasser und stumm vorgeführt wird.

Die öffentliche Premiere fand in einer New Yorker Galerie im Rahmen eines Kurzfilm-Programms statt, das „Goofy Newsreels“ (alberne Wochenschau) hieß. Einer der Zuschauer war Salvador Dali, der die Vorführung von Rose Hobart mit dem Ruf »Salaud!« störte und den Projektor umwarf – verärgert, weil er angeblich die gleiche Idee für einen eigenen Film hatte. Angeblich soll Dali später gesagt haben, »Cornell stahl den Film aus meinem Unterbewusstsein!« [Solomon 1997].


Zur Gestaltung

Viele Motive (Mondfinsternis, Wasserreflexionen) und vor allem die nicht-lineare „Handlung“ erinnern an surrealistische Filme von Dali, Buñuel oder Cocteau. Die besondere Leistung Cornell’s, die Rose Hobart im Vergleich zu anderen Filmen auszeichnete, war jedoch die einzigartige Filmmontage. Anders als in vielen Filmcollagen vor und nach Rose Hobart, vermied Cornell in der Kombination der Szenen jegliche, billige Ironie. Auch verzichtete er auf Anschlüsse, die einen (anderen) Handlungsablauf oder gar einen Plot suggerieren könnten. Dennoch ist Rose Hobart nicht völlig non-linear und fragmentiert. Auf der Handlungsebene erhielt Cornell aus dem Ausgangsmaterial die Verbindung dramatischer Stimmungen der Hauptfigur mit Naturkatastrophen. Doch drehte Cornell Ursache und Wirkung um, so dass in Rose Hobart die Naturereignisse nicht den Handlungen psychologisierend folgen, sondern vorausgehen und die Protagonistin als eine schöne, aber emotional irritierte Heldin in einer feindlich-surrealen Umwelt erscheint. Anstelle der Kontinuität von Handlungsursache und Handlungswirkung tritt eine träumerische, poetisch-visuelle Kontinuität, in deren Mittelpunkt die – von Cornell offenbar verehrte – Schauspielerin Rose Hobart steht.

Zitat aus „Rose Hobart“ (Ausschnitt ab Min. 01:14) , vollständige MP3-Version online: UbuWeb

Die Metaebene

Rose Hobart ist zugleich ein (Meta-)Film über die Ära des Stummfilms, die wieder heraufbeschworen wird, und ein Film über die filmischen Codes des Hollywood-Kinos. Obwohl Cornell oberflächlich betrachtet Konventionen wie etwa Schuss-Gegenschuss oder Anschlussregeln weitgehend beibehält, zeigt sich bei genauerem Hinsehen ein subversives Abweichen von den Regeln. So gibt es Sequenzen, deren raum-zeitliche Kontinuität den Regeln entspricht, in denen aber kleine Veränderungen in den Einstellungen, wie etwa der Wechsel der Garderobe von Rose Hobart, wie Schmuggelware die Konventionen durchbrechen. Fast immer unterbricht Cornell auf die eine oder andere Weise die Regeln – zum Beispiel durch plötzlich aufblitzende  Bilder aus Auf- und Abblenden. Auch scheinbar plausible Anschlusskonventionen nutzt Cornell gegenläufig, nämlich für irritierende und überraschende Beziehungen zwischen Blicken und Objekten, die im ursprünglichen Material ohne Zusammenhang standen.

Quellen und Literatur: Frye, Brian 2001: Rose Hobart, Senses of Cinema November 2001; Solomon, Deborah 1997: Utopia Parkway: The Life and Work of Joseph Cornell, London: Pimlico

Filmquellen: 16mm Original, stumm, sw von Joseph Cornell im Anthology Archive (New York), 1 16mm-Farbkopie im Anthology Archive (auf Wunsch von Cornell violett getönt), 16mm-Kopie im Archiv von Arsenal Berlin (nicht ausleihbar), digitales File (blaue Version) ausleihbar bei Light Cone (Paris)

Hinweis: Cornell realisiert mit Rose Hobart ziemlich genau die theoretischen Vorstellungen von Germaine Dulac, die ebenfalls dem narrativen, handlungsbezogenen Kino, ein Kino der visuellen Kunst entgegensetzte. Nachzulesen in dem Artikel: „L’essence du cinéma: l’idée visuelle“ [F 1927], Übersetzung „Das Wesen des Films: die visuelle Idee“ in: Frauen und Film, Heft 37